Als man in den frühen 2000er Jahren unter den Genetikern James Watson und Francis Collins das menschliche Genom entschlüsseln konnte, dachte man Anfangs man hätte nun uneingeschränkten Zugang zum Bauplan des Menschen.
Man erhoffte sich, genau sagen zu können, welche Krankheiten ein Mensch im Laufe des Lebens entwickeln würde, um zielgerichtet Vorsorgeuntersuchungen und frühzeitige Behandlungen starten zu können. Aber die Ernüchterung war sehr bald recht groß, denn trotz der Decodierung unserer Gene, konnte man trotzdem nur recht wenig vorhersagen.
Im laufe der kommenden Jahre hat eine junge Wissenschaft mehr und mehr festgestellt, das nicht wir die Geisel unserer Gene sind, sondern die Gene unserem Willen unterworfen sind. Diese Wissenschaft nennet sich Epigenetik.
Das wichtigste Vorab zusammengefasst:
- Die Epigenetik bezeichnet die Beeinflussung von genetischer Aktivität, ohne die DNA-Seqzenz dabei grundlegend zu verändern.
- Gewisse Gene können vererbt werden, ein gesunder Lebensstil kann diese jedoch positiv beeinflussen.
Wie funktioniert Epigenetik?
Unter Epigenetik verstehen wir die Beeinflussung von genetischer Aktivität, ohne die DNA-Sequenz dabei grundlegend zu verändern. Reihenfolge, Struktur und Kontinuität des DNA Stranges bleiben also gleich. Es wird nichts beschädigt oder neu hinzugefügt. Trotzdem gibt es Mechanismen, die eine veränderte Aktivität unserer Gene möglich machen.
Der Hauptmechanismus ist hier die sogenannte Methylierung. Durch das Anheften einer Methylgruppe (das ist eine chemische Verbindung) an ein Gen, wird dieses auf stumm, also inaktiv geschalten. Nimmt man die Methylgruppe wieder weg, wird das Gen wieder aktiv. Verantwortlich für das Hin- und Herschieben dieser Gruppen, sind die Methylgruppenspender.
Gut, bevor du dir jetzt den Kopf zerbrichst und die Lust am Weiterlesen verlierst, lass mich die Sache einfach erklären!
Vergleichen kann man das ganze mit einem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Nehmen wir an, du hast ein großes Schließfach mit mehreren Fächern (die DNA). An manchen Fächern bringst du ein Vorhängeschloss (Methylgruppe) an und schließt es sicher mit dem Schlüssel (Spender) ab. Jetzt hast du keinen Zugriff auf den Inhalt (Erbinformation). Mit dem Schlüssel (Spender) ist es jedoch möglich, die Schlösser auch wieder zu entfernen und den Inhalt zugänglich zu machen (das Gen aktivieren).
Es gibt in unserem Körper verschiedene dieser Spender, die Methylgruppen anbringen und wegnehmen. Der wichtigste ist allerdings SAM (S-Adenosylmethionin). Keine Sorge, den Namen musst du dir nicht merken. Es ist jedoch ganz interessant, das Methylgruppen-Spender nur gut unter der Hilfe von Vitamin B6, B12 und Folsäure funktionieren. Weiterhin ist eine gute Versorgung mit Aminosäuren von Vorteil. Denn daraus werden die Spender gemacht. Ich bin daher immer und in jedem Fall, wenn in der Therapie eine Veränderung passieren soll, ein absoluter Befürworter von der Einnahme von B-Vitaminen als Nahrungsergänzungsmittel.
Die Epigenetik in der Praxis
Aber wie und warum wissen unsere Spender jetzt eigentlich, wo sie die Methylgruppen anbringen sollen, welche Gene stumm geschaltet, und welche aktiviert werden? Gehen sie einfach nach dem Zufallsprinzip und wir müssen uns danach richten? Nein, denn genau das ist der Punkt, an dem die Gene unserem Willen unterliegen. Ernährung, Schlaf, Bewegung, Mindset, fast alles was wir regelmäßig tun, unser Lebensstil, hat einen Einfluss auf die Aktivierung unserer Gene.
Das Beispiel mit eineiigen Zwillingen
Wie kann man sich das jetzt praktisch vorstellen? Das anschaulichste Beispiel ist sicher das der eineiigen Zwillinge. Obwohl sie die gleiche DNA besitzen, kann ein unterschiedlicher Lifestyle dazu führen, dass sich die Geschwister mit den Jahren sowohl im Aussehen, ihrer körperlichen Fitness, oder ihrer Anfälligkeit für Krankheiten doch recht deutlich voneinander unterscheiden.
Zwilling 1: Ein Zwilling könnte durch einen gesunden Lifestyle, mit nährstoffreicher Nahrung, viel Bewegung und wenig Stress, Gene aktivieren, die beispielsweise dafür zuständig sind, das Cholesterin besser verstoffwechselt wird, Blutzucker besser reguliert werden kann und mehr Zellen produziert werden, die Melatonin für einen guten Schlaf ausschütten.
Zwilling 2: Beim zweiten Zwilling könnte zu häufiger Stress, viel Fast Food und wenig Schlaf dazu führen, dass diese regulierenden Gene auf stumm geschaltet werden und nicht mehr aktiv sind.
Die Weitergabe von Genen
Weiters ist die Epigenetik entscheidend bei der Weitergabe unserer Gene an die nächste Generation. Der wissenschaftliche Durchbruch gelang hier mit den sogenannten Agouti Mäusen. Diese Mäuse haben ein bestimmtes Gen, das, wenn es aktiv ist, zu einem gelben Fell und einer starken Neigung zu Übergewicht, Diabetes und Tumoren führt. Die Forscher haben diesen Mäusen während der Schwangerschaft dann eine Ernährung, die reich an Methylgruppenspendern war, sprich voll mit Methionin, B-Vitaminen und Folsäure verabreicht. Tatsächlich legte eine verbesserte Fähigkeit für Methylierung dieses Gen in der nächsten Generation still. Die Babies kamen mit braunem Fell und einem deutlich besseren Stoffwechsel zur Welt.
Das bedeutet für dich, wenn in deiner Familie die Neigung zu Übergewicht besteht, kannst du das Übergewicht deiner Kinder keinesfalls nur auf die Genetik schieben. Ein gesunder Lifestyle zahlt sich vor allem während der Schwangerschaft, oder sogar schon während der Planungsphase für Kinder auf jeden Fall positiv auf deren Genmaterial aus, dass du deinen (künftigen) Kindern mit auf den Weg gibst.
Genauso anders herum: Es ist auf keinen Fall ratsam, nur weil du von deinen Eltern gute Gene mitbekommen hast, dich darauf auszuruhen und während der Schwangerschaft alles Erdenkliche in dich „reinzustopfen“ ohne darüber nachzudenken. In der Annahme: „Meine Gene werden’s schon richten.“ Nein, denn wenn du Pech hast, werden viele schützende Gene für deine Nachkommen stillgelegt, und deine Kinder starten mit einem deutlich schlechteren Genmaterial als du selbst. Flaub mir, das kommt häufiger vor als du denkst. Beobachte einmal auf dem Spielplatz Eltern und ihre Kinder. Vielleicht fällt dir der ein oder andere Zusammenhang auf.
Wie kann Epigenetik noch funktionieren?
Das letzte Beispiel das ich dir noch mitgeben möchte, ist die Methylierung der Histone. Histone sind Proteine, wo unsere DNA wie ein Faden auf einem Wollknäuel aufgewickelt ist. Je fester unsere DNA an dem Histon anliegt, desto weniger Zugriff haben wir auf die DNA. Liegt sie jedoch locker an, haben wir die Möglichkeit, die Funktionen der Gene zu verändern. Leider, oder Gott sei Dank, sitzt unsere DNA die meiste Zeit unseres Lebens sehr fest an dem Histon und wir haben nur vereinzelt über Methylierungen wie oben beschrieben, Zugriff auf die DNA.
Aber sowohl bei Mädchen, als auch bei Jungen gibt es jeweils einen Zeitpunkt im Leben, an dem dies anders ist, und der Faden sich lockert. Bei Jungs ist das um das 17./18. Lebensjahr, bei Mädchen, die bekanntlich bei allem früher dran sind, so um das 12./13. Lebensjahr während der Pubertät. Und jetzt kommt der springende Punkt. Die DNA ist in dieser Zeit offen wie ein Scheunentor und hoch empfänglich für Modellierungen durch den Lifestyle. Alles was Kinder/Jugendliche in dieser Zeit häufig machen, zum Beispiel viel Ausdauersport, wird sich in ihren Genen mit einer relativen Festigkeit niederschreiben, sie werden darin immer eine Stärke haben und leicht Ausdauer aufbauen können.
Machen sie hingegen keinen Sport und sind faul, wird es ihnen wahrscheinlich immer deutlich schwerer fallen, gut auf Training zu reagieren. Sport bleibt dann wahrscheinlich immer eine gewisse Qual. Leider hat man gerade in diesen Phasen des Lebens sehr wenig emotionalen Zugriff auf seine Kinder, also kannst du nur darauf hoffen, dass sie gesund essen, ausreichend schlafen und viel Sport machen.
Ein Tipp: das VORLEBEN und VORZEIGEN eines gesunden Lebensstils mit ausgewogener, nährstoffreicher Ernährung und täglicher Bewegung unterstützt ziemlich sicher dabei, die Kinder auch dafür zu begeistern!
Fazit
Zusammenfassend kann man eindeutig sagen, dass nichts in unseren Genen in Stein gemeißelt ist. Wir haben immer die Möglichkeit die Funktionen unserer Gene zu verändern. In manchen Phasen unseres Lebens geht das leichter, wie in der Schwangerschaft und in gewissen Lebensabschnitten in jungen Jahren. Achte weitgehend auf einen gesunden Lifestyle mit viel Bewegung, gutem Schlaf und einer Ernährung, die reich an Nährstoffen, vor allem Aminosäuren ist. Zusätzlich eine Versorgung mit Vitamin B6 und B12 und Folsäure macht das Ganze noch einfacher.
Also, wenn bei der nächsten Familienfeier der liebe Onkel seine Bandscheibenprobleme auf seine Genetik schiebt, kannst du ihm erklären, dass noch nichts verloren ist. Er kann das Ruder immer selbst herumreissen 🙂